ArletteMeier-Hungeristmit35JahrenundalszweifacheMutterbesserinFormdennje.Heutewilldie Steeple-LäuferindieEM-Limiteattackieren.UndgreiftdabeinacheinemStrohhalm,wieihrCoachsagt.
Von Deborah Bucher, Regensdorf
«Darf ich Ihnen noch meinen Trainer vorstellen?», fragt Arlette Meier-Hunger beim Dislozieren vom Interview- zum Fototermin. Sie hätte Ruedi Meier auch als Schwiegervater bekannt machen können.Stattdessenrechtfertigtsieihre gewählte Bezeichnung und steckt das Terrain ab: «Wir befinden uns auf dem Sportplatz, hier hat Ruedi nur die eine Funktion.»UnderhatklardasSagen.So hält er die Athletin in energischem Ton an, sich vor dem Posieren beim Sprung über den 76cm hohen Hindernisbalken unbedingt ausreichend warmzulaufen. Darauf bittet die 35-Jährige den Fotogra-fenumdrei,vierMinutenGeduld.«Nein, lieberfünf,sechsMinuten»,interveniert Ruedi Meier. Nebst Respekt vor Verlet-zungen schwingt in dieser Anweisung durchaus väterliche Fürsorge mit.
SeitzehnJahrentrainiertdieLimmat-talerinimWisacherunterMeiersObhut. 2006 heiratete sie dessen Sohn Gian Marco, selbst Mittelstreckenläufer. Ab dieser Saison gehört die Sportlehrerin offiziellauchzursportlichenFamiliedes LCRegensdorf, startet nicht mehr für ihrenStammvereinLVWettingen-Baden undquittiertedortauchihrelangjährige Vorstandstätigkeit.
FotoalbuminWarteschleife
Wert auf «strikte Gewaltentrennung» legtauchRuediMeier.«Problemebringt diese Konstellation keine mit sich, weil wir sie als selbstverständlich erachten», sagt er. Im Clinch sei er nur, wenn Ar-lette Meier den Trainingsumfang stei-gern sollte. «Diese Zeit würde zulasten der Betreuung ihrer Kinder gehen. Das kannichmitmeinerRollealsGrossvater nicht vereinbaren», erklärt er.
Tatsächlich trainiert die zweifache Mutter am unteren Limit und schöpft dennochdasMaximumaus.NachFlurin, der dreieinhalb Jahre alt ist, kam ihr zweiterSohnGionAndrivorzehnMona-ten zur Welt. Aus der Schwangerschafts-pause kehrte sie im Mai mit damals per-sönlicher Bestzeit von 10:19,57 Minuten über 3000m Steeple zurück. «Es ist er-wiesen, dass Frauen nach einer Geburt im Ausdauerbereich leistungsfähiger sind», erwähnt ihr Coach. Durch den neuen Lebensinhalt änderte sich ihr Zu-gang zum Leistungssport kaum. Meier war noch nie verbissen. «Sie hatte schon immer diesen Weitblick. Vielleicht aber gewann sie an Leichtigkeit», glaubt ihr Schwiegervater. Die Athletin berichtet, dass sie ihre Einheiten unbelasteter ab-spultund aufeine kompaktereVorberei-
tung setzt. «Ich habe die Zeit gar nicht,
MussheuteeinehoheHürdenehmen:ArletteMeier-Hunger.Foto:DavidBaer
um mir über Details den Kopf zu zerbre- mir, dass ich wenig Zeit für mich selbst chen. Dagegen kommt vor Wettkämpfen brauche.» Oder sie stiehlt sich wertvolle eherNervositätauf,weilichdanndurch- Stunden, indem sie beim Einkleben ins atmen kann und die Kleinen mich nicht Fotoalbum oder beim Frühlingsputz ge-ständig auf Trab halten.» Ansonsten legentlich «fünf gerade sein lässt». funktioniere sie einfach. Denn vor und
nachdemDauerlaufimSportwartender
Dauer- und Wettlauf mit der Zeit im All- Dafür kann Arlette Meier, seit sie Mutter tag.MitzweiKindern,Haushaltunddem ist, nachholen, worauf sie bislang in 65-Prozent-Pensum an der Oberstufe ihrer gesamten Karriere gewartet hatte. Dietikon seien die Tage ausgefüllt und 2008 erreichte sie ihren ersten Podest-straff durchstrukturiert. «Vielleicht hilft platz bei der Elite-SM, gewann sogar
Gold über 3000m Steeple und eroberte sich diesen Titel vor einem Monat zu-rück. «Früher war es oft verflixt. Da prä-sentierte ich mich in starker Verfassung und hatte das Pech, dass ausgerechnet danndieLeistungsdichtesehrhochwar. In anderen Jahren hätten solche Zeiten zu einer Medaille gereicht», liefert sie denGrundfürdieseLückeimPalmares, die sich lange nicht schliessen liess.
Neue Perspektiven eröffneten sich aberauchdurchdenDisziplinenwechsel – weg von der 1500-m-Strecke, hin zum 3000-m-Steeple. Dieser Schritt war gleichbedeutend mit Frustbewältigung. Denn auf den dreidreiviertel Bahnrun-den war Meier an einem Punkt ange-langt, «wo ich irgendwie stillstand». Um den Neubeginn zu akzentuieren, suchte sie sich für ihr erstes Comeback eine andereHerausforderung.Raschbewahr-heitete sich, dass über die Hindernisse ihr Zenit noch lange nicht erreicht war. Angesprochen auf die Gleichung, dass sie mit jedem Kind an Schnelligkeit zu-legt, entgegnet sie schmunzelnd: «Die Familienplanung ist abgeschlossen.»
InVerzuggeraten GrosseVorhaben,oderehereineVision, hat sie dagegen in der Leichtathletik. Meier liebäugelt mit der Qualifikation für die EM ab 27.Juli in Barcelona. Bei ihrem zweiten Team-EM-Einsatz in Ser-bien war sie auf gutem Weg, um ihren Rekord von 10:10,94 zu knacken und an der 10-Minuten-Marke zu kratzen. Doch unterwegshängtesieaneinerHürdean, schleppte sich aber trotz geprelltem Knie und angerissener Rippe ins Ziel. Dieser Zwischenfall durchkreuzte auch ihren Zeitplan. Nach einer Woche Pause und kurzem Wiederaufbau fand sie mit Glück und den Kontakten von National-coach Fritz Schmocker beim internatio-nalen Meeting von Barcelona heute Abend Aufnahme im Teilnehmerfeld. Das Rennen definiert sie als letzte Chance, um die EM-Norm von 9:55 Mi-nuten unterbieten zu können. «Klar bin ich leicht verunsichert, doch die gute Form kann nicht plötzlich weg sein», machtsiesichMut.Unterstützungerhält sievonRuediMeier.NichtvorOrt.Denn eristdaheim–wiediebeidenGrossmüt-ter–fürsKinderhütenzuständig.Aberin Form von moralischem Zuspruch. «Sie bewegt sich auf einem schmalen Grad. Aber sie soll sich an diesen Strohhalm klammern, um sich später nichts vor-werfen zu müssen», rät er ihr. Denn bei derLimitenjagdrenntMeierdieZeit,die sie sonst mühelos managen kann, wort-
wörtlich davon.